Das Thema

SAMMELN

...  was man darunter meist versteht  ...   >>>
...  doch was auch dazu gehört  ...   >>>
...   woraus sich weitreichende Fragen ergeben  ...   >>>
...  die in verschiedenen Teilen des Buches Antworten finden ...   >>>

'Sammeln' in geläufiger Anschauung, das verbindet sich heute mit persönlichem Freizeitvergnügen, mit internationalem Kunstbetrieb oder dem selbstredenden Auftrag eines Museums. Vielleicht auch, dass in kritischer Assoziation die 'Sammelwut' von Wirtschaft und Staat hinsichtlich persönlicher Daten thematisiert wird. Oder die Aktivierung der jährlichen Spendenbereitschaft, die zur Weihnachtszeit die 'Sammelbüchsen' karitativer Organisationen füllen hilft ...

Wo es um die Bedeutsamkeit einer Sammlung geht, da binden sich Rang und Namen eines Sammlers daran und werten diesen öffentlich zur bedeutenden Persönlichkeit. Hier geht der kulturhistorische Stellenwert meist aufs Trefflichste eine Liaison mit den ökonomischen Wert ein, die Kollektion selbst erklärt sich zum gewichtigen Erbe. Wo im individuellen Lebensraum geflissentliches Sammeln eine prägende Rolle spielt, da gilt es als raum- und zeitgreifend und nicht selten als 'irgendwie' eigen. Gerade dort gehen oftmals ausgeprägte Freude oder selbstbewusster Stolz einher, getragen von zielgerichteter Beharrlichkeit und häufig stupender Sachkenntnis.

Überhaupt, eine reiche Palette von Emotionen, von ästhetischem Genuss und liebevoller Zuneigung (die zuweilen den Menschen gegenüber fehlen mag) bis hin zu krankhaftem Ehrgeiz und schnöder Raffgier, hängen an dieser markanten, tatkräftigen Wahrnehmung der gegenständlichen Welt – wie auch deren geistigen Emanationen. Offensichtlich handelt es sich um ein beredtes Panoptikum an menschlichen Wahrnehmungs- und Zuwendungsweisen, die wie selten sonst im Sammeln, im Zusammentragen, Bewahren und absichtsvollen Versorgen von 'Werten' einen essenziellen Ausdruck finden. Selbst die psycho-medizinische Diagnostik weiß sich über die Tatbestände eines 'Vermüllungs-Syndroms' inzwischen einbezogen in die Fragestellung eines wahrhaft weitgreifenden Phänomens, für das eine einleuchtende, übers individuelle Schicksal hinausgehende  Erklärung noch aussteht.     <<<

Und man erinnert sich (oder weiß darin gar sich selbst angesprochen), dass es doch auch den Fundus der noch verwendbaren Geschenkpapiere und die Schachtel mit den abgetrennten Knöpfen abgelegter Hemden gibt. Man weiß ob des eigenen Schrauben-, Muttern- und Teile-Lagers, das so dienlich wie notwendig die handwerklichen Tätigkeiten ermöglicht und unterstützt. Und auch das Vorratswesen, frühester Begleiter des Menschen, feiert in Zeiten hiesigen Überschusses ein frisches, an Genussqualitäten des Lebens orientiertes Stelldichein – nicht mehr drängender Not oder karger Lebensfristung unterworfen, sondern den Möglichkeiten einer materiell reichen Existenz gedankt. Ein Sammeln, auch dieses, und in seinen Grundorientierungen wohl dessen früheste Form überhaupt.

Und wo und wenn das Vorrätige und Überschüssige sich eine allgemeine Form gibt, wo es sich universell macht im Tausch gegen das begehrte andere Gut, das dynamisiert es als Geld und akkumuliertes Kapital die Kreisläufe der gegebenen Ökonomien. Ehedem gehortetes Korn, gespeicherte Feldfrucht, überzähliges Jagdgut - und als solche je konkretes Äquivalent für den Tausch in andere Waren – wird ersetzt durch Geld als allgemeines Äquivalent – und findet sich neuzeitlich versammelt wieder in der eigenen Börse, auf dem Sparkonto und als Aktienpaket. Auch dies eine Ausdrucksform des Sammelns, ein gezieltes Anhäufen und Auffüllen, selbst wenn deren ursprünglich materialer Charakter zunehmend ins Abstrakte entgleitet.

Da verwischt sich manches, was vor nicht wenigen hundert Jahren oder gar Jahrzehnten noch eindeutig und fraglos dem Sammeln zuzuschreiben war. Doch sind das Änderungen der Erscheinungsformen, die heutzutage allemal verschärftem Wandel unterworfen sind.     <<<

Aber eben das gilt es zu fragen: wie kam's dazu? Zu wessen Diensten, übers nackte Überleben hinaus? Mit welche Auswirkungen auf die soziale Welt der Menschen, ihr gesellschaftliches Miteinander? Und in welchen kulturprägenden Ausprägungen, wie sie beispielsweise in institutioneller Form im Museum ihre hehre Großform und ihren gesellschaftlichen Auftrag gefunden hat? Dito in welchen machtgeprägten Ausformungen, die in der Gewaltherrschaft von Potentaten und den nicht minder rigorosen ökonomischen Instanzen das Bild der Geschichte prägen?

Es ist also zu fragen, inwieweit dieses grundlegende, tätige Verhalten gegenüber dem wie immer 'Greifbaren' und wert-Erachteten – das sich ja keineswegs auf materielle Dinge beschränkt ! – das menschliche Dasein auf dieser Erde geprägt hat. Es ist zu fragen, ob solchen regelhaft zielgerichteten, weil auf erstrebte Wirkungen bedachte Handlungen nicht eine Kraft innewohnt, die einen zentralen Treibsatz für gesellschaftliche Dynamik überhaupt bildet.

Und es ist nach den Wandlungen zu fragen, die diese 'Geste des Sammelns' durchlaufen hat, bis sie sich zu den verschiedenen Erscheinungsformen, wie sie sich uns nunmehr – aber nicht erst seit heute - darbieten. Und die sich weiter wandeln werden.

Der Mensch also – ich, du, Sie –ist offensichtlich ein Sammler. Aber er ist es in weitaus vielgestalter Hinsicht, als der schnelle Blick auf das Kunst- und Hobbysammeln allein vermuten lässt. Es scheint dies vielmehr Bestandteil seines Wesens zu sein, es zumindest mit geprägt und begleitet zu haben.     <<<

 

Die Texte in 'Die Geste des Sammelns' versuchen, auf diese und weitere Fragen eine Antwort in einer Anthropologie des Sammelns zu finden. Eine Antwort, die notwendig bei den Anfängen der Menschheit die Suche nach den Ursprüngen und Ursachen des Sammelns ansetzt und sich mit dem tautologischen Verweis auf 'Jäger und Sammler' eben nicht begnügt. Sondern versucht, nachvollziehbar und plausibel das Was und Woher und Wie und letztlich auch Wozu des Sammelns zu klären: woraus es entstand, auf welche Weise es sich formte, und was daraus in seinen Wirkungen erwuchs.

Dem gesellt sich die so genannte Etymographie des Sammelns als zweiter Haupttext bei, in dem – gleich einem zweiten Standbein – aus sprachhistorischer Sicht die Ursprünge des Sammelns mit den Mitteln einer wortbezogenen Bedeutungsanalyse zu greifen gesucht werden. Und dabei erweist sich der nachweisbar große Bedeutungsumfang dieses Begriffs bis hin zu seinen frühesten Wurzeln als wahre Fundgrube für den interessierten Blick auf das Phänomen des Sammelns.

Schließlich werden die Fragen von einem heutigen Standpunkt aus gestellt, wie sie denn eigentlich auch zum Ziel haben, Erklärungen und Denkanstöße für kulturale und soziale Phänomene zu finden, die – über die verschiedenen Ethnien und unterschiedlichen Entwicklungsstandorte hinweg – das Leben der Jetztzeit auf diesem Planeten prägen. Dem versuchen die Texte in Umgriff und Entlass einen genehmen Rahmen zu geben, in den auch weitere Untersuchungen einen bezugskräftigen Raum finden.

Manche Fragen werden hier beantwortet, nicht wenige bleiben offen und einige gar haben sich erst im Verlauf der Ausarbeitung ergeben. Das mag den Ausgangspunkt bilden für weitere Nachforschungen auch aus der Sicht anderer Disziplinen, die den individuellen wie kollektiven Dispositionen menschlichen Verhaltens so eine gewichtige Facette beisteuern können.

 

Bleibt zu hoffen, dass die hier eingeschlagene Richtung der Argumentation dazu beiträgt, den Phänomenen des Sammelns die erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken, die ihnen zweifelsohne zukommen sollte.     <<<